Das mag auf den ersten Blick so scheinen. Historische Wirklichkeit bildet sich jedoch nur sehr bedingt in der Sprache ab, wenn es um Ausbildung männlicher Formen geht.
Zum einen:
Ein beträchtlicher Teil der generischen Formen (in der Regel mask.) ist auf sog.
Nomen agentis zurückzuführen. Diese tragen meist das Suffix "-er" und sind gramm. männlich. Das ist einfach so. Genauso wie z.B. Abstrakta auf -heit und -keit weiblich sind. Durchgängig! Und da regt sich ja auch keiner(!) auf. Außerdem zeichnen sich solche generischen Formen dadurch aus, dass sie movierbar sind, d.h. dass eine spezifisch weibliche Form ableitbar ist: "-in". Und das übrigens schon seit über 1000 Jahren. Wäre Sprache ein Resultat gesellschaftlicher (Macht-)Verhältnisse, gäbe es das nicht. Eher könnte(!) man argumentieren, die (patriarchalischen) Machtverhältnisse haben zur Ausbildung einer weibl. Movierung geführt. Wenn man diese abschaffen würde, gäbe es keine Sonderstellung, und man könnte die "männliche" Form für alles und jedes benutzen. Etwa so wie in England. Oder damals in der DDR.
Es gibt auch ein generisches Femininum, aber das ist recht selten. Spontan und ungegoogelt fallen mir "Hexe" und "Witwe" ein. Mit der männl. Movierung wird daraus "Hexe
r" und "Witwe
r". (Aber googel doch mal spaßeshalber nach "Hexerin"…)
D.h. bei Nomen agentis ist die männliche Form der Default, nicht weil sie soziale Realität abbildet, sondern weil das einem gramm. Gesetz folgt. Wenn man in älteren Quellen liest (also älter als 5 Jahre): "Obertupfingen hat 365 Einwohner", dann sind das nicht nur Männlein und Weiblein, sondern auch alles, was gendermäßig dazwischen oder daneben liegt, Hauptsache es ist Mensch. D.h. auch, mit der zunehmenden und strikten Spezifizierung in m/w ist die Sprache paradoxerweise ungenauer und unflexibler geworden.
Ein schönes Stichwort: irgendwann im Althochdeutschen fand die Trennung von "Mann" und "Mensch" statt. "man" hat aber schon immer auch "Mensch" bedeutet, wie im Indefinitpronomen "man" heute oder "man" im Englischen. Daher gilt sowas wie "Mannschaft" absolut geschlechtsunabhängig. "Kaufmann", "Landsmann" und "Seemann" ebenso, völlig entgegen der historischen Realität, dass Seefahrer in der Regel Männer waren. Man erkennt es an den abgeleiteten Formen: es heißt "kaufmännisch" und nicht "kaufmännlich". Und derPlural? "Kauf
leute", "Lands
leute", "See
leute".
Zum anderen:
Sprache ist zwar logisch, bis zu einem gewissen Maß, aber
vor allem an der Praxis orientiert. Einerseits schaut man auf Sprachökonomie und lässt weg, was für das Verständnis entbehrlich ist, andererseits ist sie redundant veranlagt, nicht nur semantisch (dem Sinngehalt einer Aussage nach), sondern auch grammatisch. Warum sollte man also immer Doppelformen nennen, wenn mit einer einzigen Form
alle gemeint sind?
Kurz: warum sollten Frauen nicht auch Bäcker, Lehrer, Bademeister sein können, wenn es nicht auf die Person (Geschlecht), sondern auf die Tätigkeit (Amt/Funktion) ankommt? Die Sprache hat da wunderliche Konstruktionen: bei den Bienen gibt es
den Weisel (mask.), der als das einzig geschlechtsreife weibliche Exemplar männlichen Genus ist, und
die Drohne (fem.), womit die männlichen Exemplare bezeichnet werden.
Manche argumentieren ja, es gebe beim generischen Maskulinum gar keine spez. männliche Wortform, sondern nur eine neutrale, die eben unglücklicherweise (und vielleicht auch zufällig) grammatisch männlich ist. Eine spez. männl. wäre also "Bäckerer", "Lehrerer" und "Bademeisterer".
Vielleicht ist man schon viel früher auf ähnliche Gedanken gekommen, denn viele Familiennamen im Alemannischen lauten "Riesterer", "Ketterer", "Schladerer" usw.
Aber das hat jetzt mit den Thema "gender
unabhängig formulieren" nicht mehr viel zu tun. Bis vor 20 Jahren war das noch eher möglich, weil man nicht bei jedem männlichen Wort an Pipimann gedacht hat, da gab es noch sowas wie Kontext, aus dem man sich den Sinn erschließen konnte. Heute ist das schwieriger, weil die Zuordnungen Endung - Geschlecht festgefügter sind und man auf die Fähigkeit zu sinnentnehmdem Lesen nicht mehr vertrauen kann. Wenn man also Konstruktionen braucht wie "-xier", so ganz im Stil von
Lann Hornscheidt, so sind die Leute selber in die Falle getappt, die sie anderen gestellt haben.
Leider ist diese ganze Debatte mehr von Gefühlen diktiert ("mitgemeint") als von wissenschaftlicher Erkenntnis, und gegen Gefühle kann man (Mann) bekanntlich nur ganz schlecht an-argumentierten. Das war so etwa auch der Grund, warum ich vor knapp 30 Jahren auch Luise Pusch und Senta Trömel-Plötz gelesen habe.
tl;rd (oder lr;ks): Die Annahme einer Spiegelung gesellschaftlicher Verhältnisse in die Sprache ist verführerisch naheliegend, die Faktenlage gibt das aber nicht her und die Realität ist, wie immer, weit komplexer, als dass sie einfache Antworten rechtfertigte. Denn solche Antworten sind nicht nur angenehm einfach, sondern meist auch unangenehm falsch.
Commentaires (8)
Das beruhigt mich schon mal sehr, dass da normale Untertitel sind und keine, wo man raten muss, was das bedeuten soll. Nur schade, dass man scheinbar den Manga lesen muss, um ein richtiges Ende der Geschichte zu bekommen, was ich mir aber unter den gegeben Umständen schwer vorstellen kann. Dann muss ich überlegen, ob ich mit einem offenen Ende in diesem Fall leben kann.
„They/their“ ist ja auch wieder Gender-Sprache, nur eben die englische Version. Aus irgendeinem Grund fühle ich mich, wenn ich Gender-Sprache lese, immer an die Kunstsprache „Neusprech“ aus George Orwells 1984 erinnert. Daher ist das nichts für mich, ich werde lieber davon Abstand nehmen den Manga zu lesen. Aber vielen Dank!
In der Charakterdatenbank konnte ich lesen, dass sich zumindest Phos im Japanischen mit dem männlichen Pronomen boku selbst bezeichnet, im Anime scheint also keine typische Gender-Sprache vorzukommen. Ich werde mir dann eben nur den Anime ansehen und auf den Manga verzichten.
Ich kann mich damit anfreunden, auch wenn das heute leider ideologisch ausgeschlachtet wird.
Wegen dem Schmarn mit "xier" würde ich mir aber auch nie die deutsche Manga-Version von Houseki no Kuni kaufen (hab das damals bei Erscheinen schon mitbekommen), bei der englischen Version spiele ich zumindest mit dem Gedanken.
Zum Manga: Ja, die genderneutrale Sprache wird benutzt, aber ganz so weltenzerrüttend, wie es gesagt wird, ist es nun auch nicht. Nach 2-3 Bänden gewöhnt man sich völlig dran und es ist meines Erachtens kein größeres Problem mehr. Ob gewollt oder nicht wandle ich im Kopf schon fast automatisch das Xier in er oder sie um (nach eigenem Empfinden). Natürlich irritiert es anfangs (oder stört gar den Lesefluss), aber es ist es echt keinen Grund den Manga gänzlich zu meiden, das hat er nicht verdient, dafür ist Houseki no Kuni eigentlich zu gut.
Aber ich habe mich schon aus den vorangegangen aufgeführten Gründen gegen dieses Werk entschieden. Für mich ist dieses Werk aufgrund der Gendersprache wohl nicht geeignet. Ich kann mich aufgrund der Gendersprache beim Lesen nicht konzentrieren und stolper immer über diese Fantasie-Wörter, das reißt mich immer wieder aus dem Lesefluss. Ich belasse es lieber beim Anlesen. Diese Werke ist dann leider nichts für mich.