Neger. Zigeuner. Indianer.
Ob man das in der leicht dystopischen Welt von »Shimoneta« sagen darf, ist einigermaßen unklar. Denn diese Welt ist geprägt von der Herrschaft der Guten, die bösen Gedanken und Umgangsformen zu Leibe rücken wollen. Und das mit Methoden, die der Spanischen Inquisition nachempfunden sind und auch gewissen Tendenzen in aktuellen Gesellschaften zur Ehre gereichen würden. Seien es die Wokeness-Jünger in Amerika oder, am anderen Ende der Skala, die Durchsetzung erwünschter Normen seitens der Revolutionsgarden im Iran.
Hier nun beschränkt man sich auf die Ausmerzung sexueller und sexualisierter Begriffe, um mangels passender Begrifflichkeiten das Denken über diese Dinge zu unterbinden. Ganz im Stil eines bekannten Romans von George Orwell also. Schundliteratur und zotige Publikationen in Wort und Bild werden gnadenlos konfisziert und der Vernichtung anheim gegeben. Rein zu Symbolzwecken natürlich, denn auch hier heiligt der Zweck die Mittel; auch wenn die historische Erfahrung lehrt, daß Bücher eher schlecht brennen, selbst bei 451° Fahrenheit. Das konnte man während der rituellen Bücherverbrennungen im Nazi-Deutschland der Dreißigerjahre feststellen, aber auch vor einem Vierteljahrhundert während der (ebenfalls rituellen) Säuberungen Ende der Neunziger, als im großen Stil die Stadt- und Jugendbibliotheken ins Visier rechtschaffen aufgepeitschter ErzieherInnen geraten sind (ja, meistenteils Frauen), die frisch gehirngewaschen ihr Gutes Werk vollführten: "Denkt denn niemand an die armen Kinder?"
Genau wie in diesem Anime auch. Die Muster sind genau die gleichen. Mit dem Unterschied, daß man sich darauf spezialisiert, Obszönitäten aller Art an die Gurgel zu gehen – gern auch an das, was man im eigenen kranken Kopf als "obszön" identifiziert hat – und zur Gedankenkontrolle den Leuten ein Halsband mit der Funktion eines Maulkorbs aufzwingt, das allfällige Verstöße
dem Wahrheitsministerium den zuständigen Stellen meldet und das daher alle im Dienste des Guten, Schönen, Wahren freudig begrüßen:
"Nur die allerdümmsten Kälber
wählen ihren Schlächter selber."
[B. Brecht]Soweit in etwa die Prämisse.
Aber es regt sich Widerstand, und das ganz animetypisch natürlich im Schulumfeld. Man wählt das weite Feld politisch unkorrekter Obszönitäten natürlich auch deshalb, weil sich daran am leichtesten und eindrücklichsten die Heuchelei und Doppelmoral der herrschenden Guten persiflieren lässt. Daher greift man zu
Bildern, die man schon aus anderen
epischen Gut-vs-Böse-Konstellationen kennt und zitiert allerlei Tropen aus diesem Umfeld, sei's dem pervers-anarchistischen "Hentai
Kamen", sei's aus dem Reich des Unterbewussten wie bei der Inszenierung dieses Schulkomplexes mit
phallisch in den Himmel ragendem Turm.
Der Anime macht sich nun daran, dieses große gesellschaftliche Problem in der tauglichsten aller Anime-Institutionen zu behandeln: dem
Seitokai. Immer wenn diese allmächtige und gottgleiche Institution der Schülervertretung derart prominent ins Spiel kommt, kann man davon ausgehen: das wird nix.
Denn ab diesem Punkt wird auf Comedy umgeschwenkt, und zwar auf die Sorte Comedy, die allen Realitätsbezug fahren lässt und sich den seichten, an der Oberfläche treibenden Gags hingibt, mag da auch noch so fett "Ironie" und "Satire" drüber stehen.
Genau das passiert hier auch. Im Sinne einer reinen und unverdorbenen Gedankenwelt sind auch die Bauten und das Interieur gehalten. Aufgeräumt, keimfrei, übersichtlich. Dem entspricht aber auch – leider! – die Auswahl der Charaktere. Denn die sind, ebenfalls ganz Seitokai-typisch, stark klischeehaft gehalten, was wiederum auf die Aktionen, das Verhalten und das, was sie laut Skript zu sagen haben, abfärbt. Man mag das als Ideenlosigkeit brandmarken oder als verlässliches Treiben in wohlbekannten Gewässern begrüßen. Je nachdem, wie gut man mit dieser Sorte Humor zurechtkommt. Bei mir war's deutlich ersteres, denn dieses Bedienen billiger, schablonenhafter Klischees, ohne sich groß die Mühe zu geben, irgendwelche originellen Akzente zu setzen, steht dem entgegen, was man sich als eher anspruchsvolle Prämisse (siehe oben) gesetzt hat. Es steht dem nicht nur entgegen, es desavouiert den gesellschaftskritischen Ansatz geradezu. Nebeneffekt dieses nachdrücklichen Vermeidens von Niveau ist dann auch, daß jeder zweite Satz aktionistisch rum- und rausgeschrien wird. Weil das lustig ist.
Irritierendes Detail am Rande: alle Charaktere sind zwar mit einer ausladenden Oberweite gesegnet (teilweise auch die Jungs), aber es kommt die ganze Serie über zu keinem einzigen Pantyshot. Seltsam.
Fazit:
Die Prämisse über die Verlogenheit einer fortschrittsgläubigen Gesellschaft verspricht zwar viel, hält aber wenig. Dabei ist das Thema so aktuell wie noch nie, in Zeiten grassierender Wokeness und unreflektierter Cancel Culture.
Die Show pflastert alles zu mit der üblichen überzogenen Komik im Seitokai-Umfeld, und trotz punktuell guter Ansätze wirkt das Ganze reichlich steril und uninspiriert. Weil man auf dichte Folge übertrieben inszenierter Gags setzt anstatt auf Entwicklung. Ausgearbeitet ist da nix, deswegen bleibt alles sehr oberflächlich. Obwohl die üblichen Twists eingebaut werden (Auftauchen konkurrierender Organisationen), bleibt der Plot förmlich in der Luft hängen und man begnügt sich mit der eher billigen Thematisierung der Diskrepanz von Anspruch und Wirklichkeit. Ein waschechter Hentai hätte womöglich mehr daraus machen können.
La dernière édition du sujet a eu lieu le 14.03.2023 23:09.